Polyphone Gottesbeweise
Wien - Zumindest die Festivalmacher haben ihn nicht überhört. Und das ist gut so. Denn der Lautenist Hopkinson Smith zählt zu den spektakulärsten Instrumentalisten der Gegenwart, auch wenn er darum keinen Wind macht.
Nach 1998, als er beim Resonanzen-Festival Werke von Luys Milán, Luys de Narvárez oder Alonso Mudarra spielte, kehrt er nun zum Wien wohltemperiert-Festival zurück und führt in seinem musikalischen Gepäck den Jahresregenten mit: J.S. Bach.
Da werden Erinnerungen wach, an eine Sonntags-Matinee Mitte der 80er-Jahre, als Smith in der Musiksammlung der Hofburg Bach gab. Man hörte atemlos zu, wie sich der gebürtige New Yorker (Jahrgang 1946) in den polyphonen Kosmos vertiefte und darüber auch profund Auskunft gab.
Der studierte Musikwissenschafter (die Universität in Harvard entließ ihn 1972 mit Auszeichnung) berichtete unter anderem über spannende Fragen der Quellenforschung. Bis heute ist ja nicht eindeutig geklärt, ob Bach selbst die Laute spielte. Außer Frage steht bloß seine Faible für deren Klang, ließ er sich doch eine Art Clavichord mit Lautenklang bauen. Überliefert ist auch seine Freundschaft zu Sylvius Leopold Weiss, dem berühmten Lautenisten und Komponisten der Bach-Zeit. Die beiden schätzten einander sehr, tauschten auch so manche Erfahrung aus.
Smith weiß darüber zu berichten, als wären sie seine Zeitgenossen. In der Tat spielt er sie so aufregend frisch, so unmittelbar berührend, dass sie auch für uns noch von Belang sind. Wer ihn je mit Bachs Lautensuiten gehört hat, wird gegen die falschen Propheten der Musik-Events immun sein. Seine Einspielungen sind in ihrer kontrapunktischen Klarheit wahre Wunderwerke der poetischen Klangrede. In der Unaufgeregtheit seines Vortrags gibt Smith den organischen Entwicklungen den notwendigen Raum und lässt die Fugen zu vielstimmigen Gottesbeweisen wachsen.
Abstrakte Ebene
Heute allerdings spielt er Transkriptionen der Violinsonaten (Nr. 3, C-Dur; Nr. 1, h-Moll; Nr. 3, E-Dur) und das b-Moll-Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier. Erstaunlich dabei ist, dass dies musikalisch vollkommen in Ordnung geht, weil "die Musik auf einer dermaßen abstrakten Ebene abläuft, dass die Partitur selbst als eine Art Bearbeitung für die Violine erscheint" (Smith). Wer den Abend versäumt, sollte zu den Platten greifen. Etwa die genannten Transkriptionen oder auch die ursprünglich dem Cello zugedachten Suiten. Eine Porträt-CD zeigt ihn als umfassenden Kenner der alten, spanischen Literatur (alle im Vertrieb der Extraplatte). Ein Konzertbesuch wird aber nachdrücklich empfohlen.
by Wolfgang Schaufler (Der Standard, Vienna, Austria)